Männer – Das schwache Geschlecht und sein Gehirn by Gerald Hüther

Männer – Das schwache Geschlecht und sein Gehirn by Gerald Hüther

Autor:Gerald Hüther [Hüther, Gerald]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG
veröffentlicht: 2015-05-31T16:00:00+00:00


Teil II

Der Prozess der Mannwerdung

Das schwache Geschlecht auf der Suche nach Halt: Der Passionsweg und die Stufen der Transformation zum Mann

Als Mann wird man nicht geboren und zum Mann wird man auch nicht gemacht.

Zu einem Mann kann man nicht durch andere werden, sondern nur durch sich selbst – durch einen Reifungs- und Differenzierungsprozess, den jedes männliche Wesen in seinem Leben durchläuft und der sich weniger in seinem Äußeren, sondern im Inneren, in ihm selbst vollzieht. Weder ein besonders wohlmeinender lieber Gott noch besonders gut kombinierte genetische Anlagen bieten irgendeine Sicherheit, dass dieser eigene Entwicklungs- und Transformationsprozess auf dem Weg zum Mann auch wirklich gelingt. Es gibt keine Garantie dafür, dass die kleinen Jungen dabei nicht unterwegs irgendwie stecken bleiben oder sich irgendwohin verirren.

Diese Gefahr ist in manchen Kulturen und unter bestimmten Verhältnissen größer als in anderen Gemeinschaften und zu anderen Zeiten. Unter besonders ungünstigen Bedingungen können die Fälle misslungener Mannwerdung so häufig sein, dass das Misslingen dieses komplizierten Prozesses die Regel, den »Normalfall« darstellt. Wer sich dann auch noch an dem orientiert, was ist, und nicht an dem, was sein könnte, dem ergeht es nicht viel anders als all jenen Menschen, die ihr Älterwerden an dem ausrichten, was in ihrem Kulturkreis in Bezug auf das Altern als durchschnittlich und damit als »normal« erscheint. Allzu leicht übersieht man dann die zwar seltenen, aber gelungenen Beispiele des Älterwerdens, die deutlich machen, was selbst in hohem Alter menschenmöglich, aber eben nicht die Regel, also »normal« ist. Dann bleibt man lieber so wie alle anderen und sucht sich dafür, dass man so ist, wie man ist, die passenden Begründungen.

In Bezug auf das, was einen solchen »normalen Mann« auszeichnet, bieten die Evolutionspsychologen und Soziobiologen gegenwärtig die besonders brauchbaren Erklärungen. Männer seien darauf programmiert, ihre Gene möglichst effektiv an möglichst viele Nachkommen weiterzugeben. Jede von einem Mann geschwängerte Frau erhöhe die Anzahl seiner Gene, die er in die nächste Generation schleuse. Deshalb, so die evolutionsbiologische Argumentation, treibe sein biologisches Erbe den Mann zur Vielweiberei und zu Seitensprüngen. Nur unter bestimmten ökonomischen und soziokulturellen Bedingungen sind Männer nach dieser Vorstellung bereit, eine dauerhafte Beziehung mit einer Frau einzugehen – mit den allenthalben zu beobachtenden Hintertürchen in Form von Nebenfrauen und Prostituierten. Gut lässt sich mit dieser Theorie auch erklären, warum Männer vor allem dann, wenn sie älter werden, sich durch Trennung und Scheidung den Weg frei machen für eine neue Beziehung mit einer meist jüngeren Partnerin. Dieser »zweite Frühling«, in dem nicht mehr ganz junge Männer ihre meist gleichaltrige Partnerin gegen eine jüngere eintauschen, ist aus dieser evolutionsbiologischen Perspektive völlig normal, weil Männer dadurch ihre Reproduktionsrate noch einmal steigern, bevor es zu spät ist.

»Der Übergang vom Affen zum Menschen, das sind wir«, hat Konrad Lorenz einmal so treffend bemerkt und uns damit sehr eindringlich daran erinnert, dass wir uns irgendwann entscheiden müssen, wo wir eigentlich hinwollen. Die soziobiologischen und evolutionsbiologischen Vorstellungen beschreiben ja lediglich, wo wir herkommen und uns wohl auch mehrheitlich noch immer befinden: unterwegs, an der Schwelle eines Transformationsprozesses, der von niemand anderem als uns selbst gestaltet werden kann.



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